Wegen ihrer Treue zu Trainer Florian Kohfeldt spricht Lutz Hangartner, Präsident des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer, den Verantwortlichen des SV Werder Bremen ein großes Lob aus. „Denn sie machen etwas, was wir als Trainerverband immer wieder einfordern: Dass man nämlich nicht vorschnell als erste Maßnahme den Trainer entlässt. Es gibt viele Beispiele, dass es sich im Fußball langfristig auszahlt, wenn man seinem Chefcoach vertraut.“ Hangartner findet den Weg des SV Werder Bremen in der Trainerfrage außergewöhnlich und verteidigt Florian Kohfeldt.

Jean-Julien Beer (JB): Herr Hangartner, auch in höchster Abstiegsnot hat Werder Bremen an Trainer Florian Kohfeldt festgehalten. Wie haben Sie das als Präsident der Deutschen Fußball-Lehrer verfolgt, dass ein Verein den üblichen Gesetzen der Branche so trotzte?

Lutz Hangartner (LH): Ich finde das Verhalten der Verantwortlichen bei Werder sehr lobenswert. Denn sie machen etwas, was wir als Trainerverband immer wieder einfordern: Dass man nämlich nicht vorschnell als erste Maßnahme den Trainer entlässt. Es gibt viele Beispiele, dass es sich im Fußball langfristig auszahlt, wenn man seinem Chefcoach vertraut. Natürlich bin ich nicht so blauäugig, dass unser Verband grundsätzlich gegen Entlassungen von Trainern sein könnte. Es gibt sicher Situation, auch intern in einem Klub, die einen Wechsel erfordern. Aber das immer nur an den Punkten oder dem Tabellenplatz festzumachen, ist falsch. Deshalb ziehe ich vor Werder den Hut, dass es dort die Bereitschaft gibt, an einem Trainer festzuhalten, von dem man überzeugt ist.

JB: Wie kann ein Trainer seine Chefs überzeugen, wenn nicht mit Punkten?

LH: Man kann die Arbeit des Trainers auf dem Platz anschauen, man kann sehen, wie er mit der Mannschaft umgeht und wie er die Spieler anspricht. Wenn man das Gefühl hat, dass das bei der Mannschaft auch ankommt, dann sollte man sich eben auch mal hinstellen und sagen: Ein Trainerwechsel ist für uns kein Thema.

JB: Frank Baumann hat das bei Werder unermüdlich getan und sich dafür auch viel Kritik eingehandelt. Wünschen Sie sich mehr Manager in der Bundesliga, die bereit sind, für ihre Überzeugung auch Beulen einzustecken?

LH: Das ist ein sehr entscheidender Punkt. Ich habe immer wieder Manager dafür kritisiert, dass sie sehr schnell bereit sind, den Trainer zu opfern. Und das vor allem in Situationen, wo die Manager selbst maßgeblich an der Zusammenstellung des Spielerkaders beteiligt waren. Wenn es dann aber hart auf hart kommt und die Punkte ausbleiben, waschen viele Bundesliga-Manager schnell die Hände in Unschuld und schieben dem Trainer die Verantwortung dafür zu. Deshalb habe ich großen Respekt vor Frank Baumann, dass er sich vor den Trainer gestellt hat. Natürlich: Wenn Werder absteigen sollte, unabhängig von der Frage, wie die Saison noch weitergeführt wird, dann wird es den Vorwurf geben: Warum habt ihr nicht alles probiert? Und da gehört auch ein Trainerwechsel dazu. Das ist aber immer auch eine Frage der Alternative.

JB: Wie meinen Sie das?

LH: Wenn ein Klub wie Werder Bremen einen Trainer wie Florian Kohfeldt entlässt, dann muss man schon fragen: Wen holen wir denn dann? Wer ist denn auf dem Markt und kann uns die Perspektive geben, dass er es besser macht? Es spielen sicherlich beide Faktoren eine Rolle: Dass man von Florian Kohfeldt überzeugt ist und dass es keine echte Alternative zu ihm gibt.

JB: Ist die Treue zum Trainer an einem ruhigeren Bundesligastandort wie Bremen leichter durchzuhalten?

LH: Ich nenne da als Beispiel immer gerne den SC Freiburg. Dort sagt man: Wir beurteilen den Trainer danach, was er leistet. Wenn das Spielerpotenzial nicht ausreicht, dann steigen wir mit diesem Trainer eben ab und haben das Ziel, gemeinsam wieder aufzusteigen. Nur: Von dieser Art Klubs gibt es wenige in Deutschland. Da würde ich fast alleine Freiburg nennen. Früher hat man da auch an Augsburg gedacht, aber dort ist inzwischen auch eine „Hire-and-fire-Menatlität“ eingekehrt. Und auch in Mainz haben die Gesetze des Geschäftes irgendwann begonnen zu wirken. Deshalb habe ich den Bremer Weg mit Interesse verfolgt und den Hut davor gezogen, dass die Entscheider dort immer betont haben, dass sie von der Arbeit ihres Trainers überzeugt sind.

JB: Erst vor einem Jahr stand Florian Kohfeldt beim DFB auf der Bühne und wurde als Trainer des Jahres ausgezeichnet. Keine 12 Monate später wurde bundesweit seine überfällige Entlassung diskutiert. Wie denken Sie über diesen kurzen Zeitabstand?

LH: Diese Auszeichnung für Kohfeldt war ja damals absolut begründet, wenn man sich anschaut, was er auch schon bei Werder geleistet hat, bevor der die Profis übernahm. Und so ein Mann, der in ganz Deutschland gefeiert wurde, der kann nicht ein paar Monate später ein schlechter Trainer sein, der die Leistung nicht bringt und die Mannschaft nicht mitnehmen kann. Diese Entwicklung ist inzwischen das Fatale im Trainergeschäft. Es gibt viele Beispiele, etwa Dirk Schuster. Können Sie sich erinnern? Der wurde auch als Trainer des Jahres kurz darauf entlassen. Es ist verrückt: Diese Leute erarbeiten sich ein enormes Standing, und wenn im Alltag die Punkte fehlen, soll alles Makulatur sein.

JB: Die massive Kritik an Kohfeldt erinnerte auch an Schalke und den jungen Domenico Tedesco. Geht der deutsche Fußball insgesamt zu hart mit seinen Trainertalenten um?

LH: Tedesco wurde auf Schalke anfangs hochgejubelt, auch das ist fatal an diesem Fußballgeschäft: Wer erfolgreich startet, wird direkt in besondere Höhen gehoben. Und dann ganz schnell fallen gelassen. Ich finde es gut, dass viele Bundesligavereine inzwischen den Mut haben, auch auf junge Trainer zu setzen. Das war vor wenigen Jahren noch nicht der Fall. Da musste man 300 Bundesligaspiele haben oder in der Nationalmannschaft gewesen sein, um überhaupt als qualifizierter Trainer angesehen zu werden. Das hat sich erst durch Leute wie Ralf Rangnick oder Jürgen Klopp verändert, die selbst nicht in der höchsten Liga gespielt haben. Aber letztlich muss man auch die Frage stellen: Was interessiert Schalke die Entwicklung von Tedesco? Im Bundesliga-Alltag wird leider auch so ein Trainer, der schon vorher in der Jugend in Hoffenheim und auch in Aue tolle Arbeit geleistet hat, ganz schnell vom Messias zum Deppen.

JB: Kurioserweise haben nur die beiden Schlusslichter der Bundesligatabelle den Trainer nicht gewechselt: Paderborn hält an Steffen Baumgart fest, Werder an Kohfeldt. Was sagt das aus?

LH: Paderborn würde ich durchaus noch mit Freiburg vergleichen. Die sind ganz realistisch in die Saison gegangen und wissen, dass es ein großer Erfolg ist für den Verein, überhaupt dabei zu sein. Und sie haben auch nie wirklich desolate Leistungen geboten, das kommt sicher noch hinzu.

JB: In Bremen hat Aufsichtsrats-Chef Marco Bode betont, dass Florian Kohfeldt für Werder mehr ist als ein normaler Trainer. Weil er aus dem Verein kommt, weil er die gemeinsamen Visionen lebt und sich auch um viele Dinge außerhalb der Profimannschaft kümmert. Kann das einen Trainer auch an seine Grenzen bringen?

LH: Wegen dieser Rolle, die Florian Kohfeldt bei Werder gespielt hat oder spielt, wurde den Werder-Verantwortlichen auch schon der Vorwurf gemacht, dass sie zu blauäugig wären. Denn ein anderer Trainer, der nicht diesen Werder-Background hat, wäre vielleicht schon entlassen worden. Es gibt einerseits dann immer auch kritische Stimmen von außen, wie man denn an einem Trainer aus den eigenen Reihen so lange festhalten kann. Für viele Fans ist es andererseits aber auch besonders bitter, wenn man mit einem Trainer aus den eigenen Reihen in so eine schwierige Situation kommt. Es würde vielen eingefleischten Werder-Fans sicherlich schwer fallen, den Klub zu einer Entlassung von Florian Kohfeldt aufzufordern.

JB: Der FC Bayern München setzt als Global Player langfristig auf einen deutschen Trainer und verlängerte den Vertrag mit Hansi Flick. Strahlt das positiv auf die deutsche Trainerbranche aus?

LH: Das hoffe ich. Es ist großartig, wie er diese Bayern-Mannschaft richtig angepackt hat, von der man vorher das Gefühl hatte, dass sie keine richtige Einheit mehr war. Das ist ein Indiz dafür, dass man nicht immer nur die Guardiolas, Ancelottis oder wie sie alle heißen zu Bayern holen muss. Bei Bayern hat man immer das Gefühl, es müsse eine Weltgröße sein. Durch die guten Erfolge von Hansi Flick blieb den Bayern aber gar nichts anderes übrig, als auf ihn zu setzen. Wobei ich nicht weiß, welche Meinungen es intern im Klub gab. Wenn Guardiola seine Rückkehr angedeutet hätte, dann wäre ich fast schon der festen Überzeugung, dass beim FC Bayern wieder die ganz große Nummer gezogen worden wäre. Aber für die deutschen Trainer ist es natürlich großartig, dass einer aus den eigenen Reihen bei solch einem Weltklub gute Arbeit leistet.

JB: In diesen Zeiten der Corona-Krise stehen die Vereine vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen. Kann das auch dazu führen, dass die Klubs länger zu ihrem Trainer halten? Dass man da enger zusammenrückt?

LH: Das würde ich mir wirklich wünschen, ich fürchte aber: Wenn nur einigermaßen der Alltag wieder einkehrt, dann greifen die Vereine ganz schnell wieder auf die alten Mechanismen zurück. Selbst ein Klub in absoluten Finanznöten, der knapp der Insolvenz entgangen ist, würde in Abstiegsgefahr wieder die Mittel aufbringen, um sich vom Trainer zu trennen. Ich bin skeptisch, dass sich dort etwas verändert, lasse mich aber gerne vom Gegenteil überzeugen. Das wäre im Fußball dann wenigstens eine positive Folge der Corona-Krise.

Quelle: Weser-Kurier

md/25.05.2020

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